Flow Mind

Selbstkontrolle: Der innere Kampf mit uns selbst

Warum uns Selbstkontrolle oft so schwer fällt und was wir tun können, um bessere Entscheidungen zu treffen.

„Eine Folge noch. Danach fange ich mit dem Lernen an. Wirklich …“

Überall in unserem Alltag lauern Versuchungen, denen wir eigentlich widerstehen sollten, um unseren langfristigen Zielen näher zu kommen. Egal, ob es um unsere Gesundheit, persönliche oder um berufliche Ziele geht, permanent ist unsere Willenskraft gefordert: Netflix oder Sport? Pizza oder Salat? Instagram oder für die Klausur lernen? Youtube oder die Präsentation vorbereiten?  
Warum fällt es uns oft so schwer, uns zu beherrschen? Und wie können wir unsere Selbstkontrolle verbessern?
 
In diesem Artikel lernst du:
→ Warum uns Selbstkontrolle oft so schwer fällt
→ Ob unsere Selbstkontroll-Kapazität begrenzt ist
→ 11 Wege zu mehr Selbstkontrolle
→ Was Selbstkontrolle mit Flow-Erleben zu tun hat
 
Warum uns Selbstkontrolle oft so schwer fällt
Besonders anschaulich zeigt sich das Problem der Selbstkontrolle im Marshmallow-Test mit Kindern. Wenn man Kindern die Wahl lässt zwischen einer Süßigkeit jetzt und zwei Süßigkeiten später, entspricht dies etwa der Problematik, der wir auch im Erwachsenenalter häufig ausgesetzt sind:

Eine kurzfristige Befriedigung unseres Verlangens jetzt sofort oder ein kleiner Schritt in Richtung eines größeren Ziels?

Im Marshmallow-Test zeigt sich, dass Kinder ab einem gewissen Alter zum sogenannten Belohnungsaufschub in der Lage sind. Leider verhält es sich mit dem Belohnungsaufschub und der Selbstkontrolle anders als mit dem Fahrradfahren – einmal gelernt heißt noch lange nicht, dass uns die Anwendung in jeder Situation gelingt. Aber warum nicht?
 
Selbstkontroll-Konflikte entstehen in Entscheidungssituationen. In der Regel besteht in diesen Situationen eine Spannung zwischen einer Option, die uns sofort, aber dafür nur kurzfristig befriedigt, und einer langfristig besseren und klügeren Alternative. Das Problem liegt darin, dass uns in genau diesem Moment der Entscheidung die Gegenwart in der Regel wichtiger als die Zukunft ist. Denn das Gefühl, das unser Belohnungssystem hier und jetzt in uns auslöst, wenn wir dem Drang nach sofortiger Befriedigung nachgeben, ist so viel verlockender als das Erreichen irgendeines diffusen Ziels, das vielleicht noch Monate oder Jahre in der Zukunft liegt.

 

Ist unsere Selbstkontroll-Kapazität begrenzt?
Lange Zeit ging man davon aus, Willenskraft sei eine Ressource, die wie die Kraft eines Muskels erschöpft werden und erst nach einer gewissen Regenerationszeit wieder belastet werden könne. Diese Annahme stellte sich allerdings als Irrtum heraus. Über den Erfolg oder Misserfolg unserer Selbstkontrolle entscheidet nämlich nicht, wie viel Selbstkontrolle wir vorher bereits aufgewendet haben, sondern woran wir glauben: An Selbstkontrolle als begrenzte Ressource oder daran, dass Selbstkontrolle eine Fähigkeit ist, die sich nicht erschöpfen lässt. Bei Personen, die an die Erschöpfung von Selbstkontrolle nach einer gewissen Beanspruchung glauben, lässt sich im Laufe mehrerer Aufgaben, die Selbstkontrolle erfordern, ein gewisser Leistungseinbruch beobachten. Personen hingegen, die Selbstkontrolle als Fähigkeit betrachten, die sich nicht durch Beanspruchung erschöpfen lässt, zeigen auch im Verlauf mehrerer Selbstkontroll-Aufgaben eine unveränderte Leistung.
 
Auch die Betrachtung von Selbstkontrolle als universelle Ressource bzw. Eigenschaft ist mittlerweile überholt. Selbst wenn es bei manchen Menschen so scheint, als seien sie generell gut darin, sich zu beherrschen, muss Selbstkontrolle kontextspezifisch betrachtet werden. Manch einer hat eine hohe Selbstkontrolle im Bezug auf Sport und Ernährung, andere wiederum haben eine starke Willenskraft im beruflichen Kontext. Erklären lässt sich diese Beobachtung allerdings mit Hilfe von Selbstkontrolle, sondern durch Unterschiede in der Motivation. Während manche Personen im Job motivierter sind, bringen andere mehr Motivation für gesunde Ernährung auf.

 

11 Wege zu mehr Selbstkontrolle

 

1. Entscheide jetzt
Die Tatsache, dass wir in der Gegenwart lieber selbstkontrolliertes Verhalten für die Zukunft planen als es sofort umzusetzen, können wir nutzen, um bessere Entscheidungen zu treffen: Indem wir jetzt eine Entscheidung für die Zukunft treffen und uns zu einem bestimmten Verhalten verpflichten, können wir unser Zukunfts-Ich zur Vernunft „zwingen“.
Vielleicht gehörst du zu den Personen, die sich abends jedes Mal vornehmen, am nächsten Morgen beim ersten Klingeln des Weckers sofort aufzustehen, aber morgens dann doch immer noch ein, zwei oder sogar fünf mal auf die snooze-Taste drücken. Um dieser hinderlichen Entscheidung vorzubeugen, können wir den Wecker z.B. an einen Ort legen, der so weit von unserem Bett entfernt ist, dass wir zum Ausschalten aufstehen müssen. Nicht in allen Situationen lässt sich eine solche Lösung finden, die unser Zukunfts-Ich zu einer bestimmten Handlung praktisch zwingt. Aber oft reichen auch schon kleine Hilfen, die uns die Entscheidung erleichtern: Wenn wir uns vornehmen, abends nach der Arbeit zum Sport zu gehen, kann es z.B. helfen, die Sportsachen bereits mit zur Arbeit zu nehmen, um den Zwischenstopp zu Hause und die verlockende Couch zu umgehen. Oder – je nach Arbeitsstelle – können wir sogar in Sportkleidung zur Arbeit gehen.

 

2. Verändere deine Umgebung und vermeide Trigger  
Indem wir Versuchungen aus unserem Sichtfeld verbannen, reduzieren wir automatisch die Anzahl unserer Selbstkontroll-Konflikte. Wenn wir z.B. Gewicht verlieren wollen, sollten wir Süßigkeiten wegräumen oder im Idealfall ganz aus unserer Wohnung verbannen. So kommen wir gar nicht erst in die Situation, dass wir uns zwischen einem Schokoriegel und einer Banane entscheiden müssen.
Außerdem kann es für die Abgewöhnung einer ungesunden Gewohnheit helfen, sein eigenes Verhalten zu verstehen: Durch welche Trigger wird unser Verhalten ausgelöst? Welche Belohnung und welche negative Konsequenzen folgen ihm?

Wenn wir verstehen, welche Situationen und Trigger unser ungesundes Verhalten auslösen oder verstärken, können wir diese bewusst meiden.

3. Setze dir Ziele  
Je konkreter das Ziel, das wir uns setzen, desto leichter fällt uns Selbstkontrolle. Zusätzliche Zwischenziele und Deadlines erhöhen unsere Produktivität, indem sie Prokrastination reduzieren. Noch wirksamer ist die Definition von Zielen, wenn diese fordernd sind und öffentlich oder mit einer Gruppe geteilt werden. Noch mehr zum Thema Zielsetzung findest du in diesem Artikel.
 

4. Schmiede Pläne  
In vielen Studien zum Thema Selbstkontrolle haben sich Wenn-dann-Pläne als sehr effektiv herausgestellt. Besonders gut können wir solche Pläne machen, wenn wir uns zunächst ein möglichst genaues Ziel setzen. Wenn wir uns anschließend überlegen, welche Hindernisse uns auf dem Weg zu diesem Ziel begegnen könnten, wird uns die Formulierung passender Wenn-dann-Pläne deutlich leichter fallen. Je konkreter diese Pläne sind, desto einfacher ist ihre Umsetzung. Hier ein paar Beispiele:
 
Wenn ich Lust auf Schokolade habe, dann esse ich einen Apfel.
Wenn ich meinen Wecker ausgeschaltet habe, dann ziehe ich meine Laufschuhe an.

Diese Tabelle kann dir bei der Planung helfen.
 

5. Knüpfe an bestehende Gewohnheiten an
Wenn wir es schaffen, eine Tätigkeit, die uns viel Willenskraft kostet, mit einer bereits bestehenden Gewohnheit zu verknüpfen, wird uns diese Tätigkeit nach einer gewissen Zeit deutlich leichter fallen. Wenn wir uns z.B. vornehmen, jeden Tag 10 Liegestütze zu machen, werden wir das einfacher schaffen, wenn wir diese kleine Sporteinheit mit einer alltäglichen Handlung verbinden. Diese könnte z.B. das Schließen unseres Laptops vor der Mittagspause sein. Ein so spezifischer Trigger ist perfekt, um einen Plan aufzustellen: „Wenn ich meinen Laptop vor der Mittagspause schließe, dann mache ich 10 Liegestütze.“
 

6. Überwache dich selbst
Auf dem Weg zu einem größeren Ziel fällt uns Selbstkontrolle leichter, wenn wir unser eigenes Verhalten überwachen und im besten Fall dokumentieren. Verfolgen wir ein bestimmtes Ernährungsziel, könnte diese Überwachung z.B. ein Ernährungstagebuch sein, in das wir alles, was wir zu uns nehmen, eintragen. Bei einem sportlichen Ziel kann das Festhalten des Trainings und unseres Trainingsfortschrittes helfen.


7. Sei achtsam
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Achtsamkeit das Verlangen nach sofortiger Befriedigung verringert und dabei helfen kann, das eigene Verlangen distanzierter zu betrachten. Wenn wir achtsam sind, gelingt es uns nämlich, dieses Verlangen wahrzunehmen, ohne ihm nachgehen zu müssen, sodass uns eine Entscheidung im Sinne unseres langfristigen Ziels leichter fällt. Wenn du gerne mehr zum Thema Achtsamkeit lesen würdest, dann schau doch mal in diesen Artikel rein.
 

8. Wechsle die Perspektive: Was würde dein zukünftiges Ich sagen?
Um einen Selbstkontroll-Konflikt erfolgreich zu lösen, kann auch ein Perspektivwechsel hilfreich sein. Wenn wir uns in unser zukünftiges Ich hineinversetzen, das auf unsere aktuelle Entscheidung zurückblickt – Was würde unser Zukunfts-Ich sagen? Die schnelle und kurzfristige Befriedigung wird aus dieser Perspektive in der Regel nicht mehr so wertvoll erscheinen, dafür wird sich dieses Zukunfts-Ich von unserem jetzigen Ich wünschen, im Sinne des langfristigen Ziels zu handeln.
 

9. Neustart-Framing
Jeder kennt sie: Neujahrsvorsätze. Funktionieren sie? Meistens nicht. Spätestens im Februar oder März gehen die meisten Vorsätze verloren. Aber für ein paar Wochen schaffen wir es häufig tatsächlich, durchzuhalten und bessere Entscheidungen zu treffen. Studien haben herausgefunden, dass wir zu Zeitpunkten, die wir als Anfang von etwas Neuem wahrnehmen, gesündere und kontrolliertere Entscheidungen treffen. Das Problem mit den Neujahrsvorsätzen liegt allerdings darin, dass ein ganzes Jahr ein ziemlich langer Zeitraum ist. Sobald wir einmal unsere Vorsätze gebrochen haben, interpretieren wir das als Versagen und lassen unsere Pläne oft ganz fallen. Also brauchen wir mehr als nur einen Neustart im Jahr. Das kann jeder Monatsanfang, jeder Montag oder auch jeder Morgen sein. Wenn wir jeden Tag als einzelne Einheit betrachten, in der wir unsere Vorsätze umsetzen und somit erfolgreich sein können, machen wir uns frei von vergangenen Fehlschlägen und geben uns selbst die Chance, jeden einzelnen Tag, an dem wir gute Entscheidungen treffen, als Erfolg zu verbuchen.
 

10. Erhöhe deine Motivation
Wenn wir extrem motiviert sind, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, spielt Selbstkontrolle oft gar keine Rolle mehr. Oft nehmen wir Versuchungen dann gar nicht mehr als solche wahr. Aber wie können wir unsere eigene Motivation steigern? Auch hierbei spielt die Zielsetzung wieder eine entscheidende Rolle. Am besten sollten wir uns unsere Ziele selber setzen, da uns die Arbeit an selbst gewählten Zielen deutlich leichter fällt als wenn wir Ziele von außen vorgeschrieben bekommen. Allerdings ist diese eigenständige Wahl von Zielen nicht immer möglich. In diesem Fall können wir unsere intrinsische Motivation dadurch steigern, dass wir uns Gründe überlegen, warum diese vorgegebenen Ziele für uns persönlich erstrebenswert sind.
 

11. Vergiss nie: Selbstkontrolle ist keine begrenzte Ressource!

 

4. Was hat Selbstkontrolle mit Flow-Erleben zu tun?

Dem Flow-Cycle zufolge müssen wir zunächst die Phase des Struggles durchlaufen, um in den Flow zu kommen. In dieser Phase ist Selbstkontrolle wichtig, um anfängliche Anlaufschwierigkeiten zu überwinden und durchzuhalten.

Und wenn wir diese Phase erst einmal erfolgreich und ohne uns frustrieren zu lassen gemeistert haben, dann werden wir am Ende umso mehr belohnt, da Flow-Erleben mit anschließendem Wohlbefinden und großer Zufriedenheit einhergeht.